Die ganze Welt zwischen i und o
Jideln und Jodeln unterscheiden sich im Schriftbild nur durch zwei Vokale. Musikalisch gesehen entfaltet sich aber zwischen ihnen eine ganze Welt. Agnes Palmisano hat mit ihren beiden Partnern Maciej Golebiowski an der Klarinette und Alexander Shevchenko am Bajan, einer chromatischen Knopfharmonika, ein Programm erarbeitet, in dem Liebe und Sehnsucht, Geburt und Tod, Freud und Leid eine friedliche Koexistenz führen.
Munteres Switchen zwischen den Musikgenres
Palmisano, die als Kennerin und Interpretin des Wiener Dudlers dieses Musikgenre in eine jüngere Generation getragen hat, zeigt sich in diesem Programm wesentlich vielseitiger. Mit ihren beiden Musikpartnern gelingt das auch mühelos. Diese machten sich schon lange zuvor bei ihren Auftritten als Klezmer Reloaded und bei ihren CD-Aufnahmen als Crossover-Spezialisten einen Namen.
Im Kurhaus am Semmering griffen die drei Musizierenden in ganz unterschiedliche musikalische Schatzkisten. Jüdisches stand dabei wie selbstverständlich neben alpenländischen Jodlern, Wiener Dudlern, Liedern von Gustav Mahler und jazzigen Klängen. Berührungsängste zwischen den Genres hatte weder das Trio, noch das Publikum, das, von Palmisano, wirkungsvoll aufgefordert, mehrfach innigst mitsingen durfte.
Von der Hochzeit zur Totenbahre
Die österreichisch-polnisch-russische Freundschaft produzierte bei der Premiere ihres neuen Programmes hochfliegende Gefühle, als sich ein jüdischer Hochzeitswalzer von einer züchtigen, ersten Annäherung hin zu einem ausgelassenen, bacchantischen Fest entwickelte. Sie kreierte dunkle Bilder von verhungernden Kindern und sich vom Leben verabschiedenden Poeten, die von Gustav Mahler musikalisch verewigt und vom Trio feinfühlig adaptiert wurden. Und als ob diese Bandbreite nicht schon genug wäre, intonierte Palmisano kunstvollst und leicht zugleich auch noch den Erzherzog-Johann-Jodler, der vom Publikum kräftigst akklamiert wurde.
An anderer Stelle jidelten Golebiowski und Shevchenkio mit ihren Instrumenten im Duett, dass einem dabei schwindlig werden konnte und die Füße nicht still bleiben wollten. Palmisano hingegen ließ mit dem ihr eigenen Schwung und Charme auch die Gattung des Wienerliedes wiederaufleben. Dabei servierte sie mit den launigen Texten, etwa über ein Dirndl und einem Steirerg`wand oder der kleinen Überlandpartie, eine gewaltige Portion Humor.
Arnold Schönbergs „Mahnung“, in der er nach einem Text von Gustav Hochstetter einem jungen Mädel eine passable Anleitung zu einer gelungenen Brautschau offeriert, bekam unter dem Trio einen gänzlich neuen Drive. Es war nicht nur Palmisanos überschwängliche Bühnenperformance, die das Publikum schlichtweg verzauberte. Ihr ist es gegeben, die ganze Bandbreite an Emotionen nicht nur stimmlich, sondern auch mit ihrer extrem sprechenden Mimik auszudrücken. Der Schelm, der ihr hin und wieder aus den Augen blitzt, wurde auch in ihrer Conférance sichtbar, die herrlich leichte Übergänge zwischen den einzelnen Stücken bildete. Nicht zuletzt war es auch die zutiefst menschlich ausgelebte Musikalität, mit der Golebiowski seine beiden Klarinetten und Chevchenkio sein Bajan zum Singen brachten, die das Publikum so sehr beeindruckte und zum Gelingen des Programmes beitrug.
Der KulturSommerSemmering läuft noch bis Anfang September. Weitere Infos auf der Homepage.