DER STANDARD: In der Früh wird sie gedudelt haben

Bei den „Wellenklängen“ in Lunz am See gibt Agnes Palmisano einen Dudel-Workshop

An der kunstvollen Wiener Volksmusik schätzt sie Stimmumfang, sowie emotionale und harmonische Variabilität.

Wien – „Hollera…“ – „Holleri!“ – „Holleri di dudl du…“ – „Du dödl di!“ – „Holleri du dödl du…“ – „Du dödl di!!“ – „Hollerö dö dudl dö…“ – „Du dödl di!!! Dö dudl dö ist zweites Futur bei Sonnenaufgang.“ Ja, Agnes Palmisano kennt Loriots Sketch vom „Jodeldiplom“ natürlich auch, in dem der feine Humorist eher deutsche Pedanterie und graumäusliche Sachlichkeitsfixierung aufs Korn nimmt als das Jodeln.

Ob man das zweite Futur bei Sonnenaufgang bei Agnes Palmisanos Workshops auch lernt, ist fraglich. Denn bei der gebürtigen Wienerin wird erstens hauptsächlich gedudelt (der Unterschied zum Jodeln wird gleich erklärt). Und, zweitens, geht es bei den Workshops auch viel um Freiheit, darum, einen eigenen Zugang zu Stimme und Körper zu finden.

Den klassischen Gesang (den Palmisano selbst an der Wiener Musikuniversität studiert hat) empfindet die Sängerin und Sonderschullehrerin mitunter als „limitierend“. Bei Teilnehmern, die zum Teil schon eine klassische Ausbildung genossen hätten, wäre oft eine gewisse Verbissenheit zu spüren, eine einheitliche Stimmfarbe zu erreichen. Das Resultat: Steifheit sowie die wenig befriedigende Produktion unpersönlicher, toter Töne.

Besser sei es, die Stimme einfach natürlich laufen zu lassen, spielerisch zu experimentieren und zu schauen: Wo sind meine Registerwechsel? Was kann ich damit machen, wie kann ich damit umgehen? Und wichtiger als die richtigen Töne sei der emotionale Inhalt, die Lebendigkeit des Gesangs. Denn Uniformität gäbe es beim Dudeln nicht.

Schnitt. Ein Word-Rap über wichtige Stationen im Leben der jungen Mutter und Mittdreißigerin, bitte: „Okay.“ Moskau (Papa war Diplomat): „Kindergarten. Volksschule. Ohne Worte. Ich konnte kein Russisch.“ Wiener Neustadt (sind wieder zurückgezogen): „Gymnasium, Musikschule, Theatergruppe. Jugend. Naja. Ich hatte eher eine Naja-Jugend.“ Landesschulsprecherin: „Hat mich fürs Leben davon abgehalten, in die Politik zu gehen.“ Freiwilliges Sozialjahr an der Sprachheilstätte Rankweil: „Sehr prägend. Hart. Hat mir ermöglicht, zu meinen Wurzeln zu finden.“

Katholizismus: „Die Sprache, in der ich gelernt habe, Spiritualität auszudrücken. Nur eine Sprache von vielen.“ Villa Wahnfried: „Ich hatte viele Berührungspunkte mit Wagner. Herausgekommen ist immer etwas anderes als Wagner.“ Christoph Schlingensief (Palmisano hat bei Schlingensiefs Mea Culpa im Burgtheater mitgewirkt): „Villa Wahnfried. Wahnsinn. Ruhe er in Frieden.“ Gerhard Bronner: „Großväterlicher Lehrer.“ Dudeln ohne Wein: „Möglich, aber nicht so schön.“

Was ist also beim Dudeln anders als beim Jodeln? „Jodeln war ein Verständigungsmittel über weite Distanzen, aber auch Lustgeschrei, Brunftgeschrei. Gedudelt wird in Wien hauptsächlich in Räumen. Dudeln ist leiser, weicher, kunstfertiger, näher am Koloraturgesang. Die Stimme hat mehr Vibrato, oft werden mit der Stimme, wie beim Jazz, Instrumente nachgeahmt. Die Musik ist harmonisch und emotional vielfältiger als beim Jodeln, kann auch ins Traurige, Melancholische wechseln.“

Ist die Volksmusik und das Jodeln/Dudeln durch 100 Jahre Musikantenstadl und 1000 Jahre Maria und Margot Hellwig auf ewig igittigitt und kontaminiert, oder ortet Palmisano eine sachte Renaissance der echten, unverfälschten Volksmusik? „Das wäre schön.“ Und falls ja, dann hat in die Renaissance ein lebenserfahrenes Gesicht: Die Dudel-Interessierten, die ihre Workshops besuchen, seien eher die Generation 40-50plus (und Frauen und Männer im ungefähr gleichen Anteil).

Das Motto der diesjährigen Wellenklänge in Lunz am See lautet „Schaumkronen für Sirenen“. Ist eine Dudlerin – wenn sie gut ist – auch immer ein wenig Sirene? „Da muss man die Männer fragen. Es gibt beim Dudeln schon ein relativ großes frivoles Repertoire. Und eine gewisse erotische Ausstrahlung mussten die Dudlerinnen – ich denke da etwa an die Fiakermilli – auf jeden Fall haben, um sich auf den hauptsächlich von männlichem Publikum besuchten Pawlatschenbühnen durchsetzen zu können.“ Stimmt. Das wäre mit Loriot’scher Hüftsteifheit und dem zweiten Futur bei Sonnenaufgang wahrscheinlich nicht nachhaltig zu begeistern gewesen. (Stefan Ender / DER STANDARD, Printausgabe, 9./10.7.2011; Langfassung)