Dudeln auf höchstem Ganselhautniveau
„Fiaker-Milli starb an Leberzirrhose“: Dudeln auf höchstem Ganselhautniveau Agnes Palmisano und die fast schon ausgestorbene Tradition des Wiener Jodelns Trude Mally war bereits recht einsam mit ihrer Kunst. Galt sie doch als die allerletzte Dudlerin – und also die Wiener Art des Jodelns und Stimmüberschlagens als akut vom Aussterben bedroht. Doch neuerdings befindet sich die Doyenne des Wienerliedes wieder in guter stimmlicher Gesellschaft – und wenn es sich um Agnes Palmisano, der jüngsten Nachwuchsdudlerin von Wien handelt, sogar in allerbester. Auch wenn Palmisano bei der Präsentation ihrer jüngsten CD „Wiener Halbwelten“ am Dienstagabend im krachvollen Hengl-Haselbrunner wiederholt betonte, dass man eine Trude Mally nicht kopieren könne – so ist das ja auch nicht das Thema. Palmisano ist ohnehin bereits eine Dudel-Liga für sich, da kommt nämlich einiges zusammen.
Dudel-Philosophie
Ihre Ausbildung im klassischen Gesang etwa, die ihr beim wienerischen Jodeln Stimmmodulationen auf höchstem Ganselhautniveau ermöglicht. Das kommt zart daher, schlägt plötzlich um ins Deftige – und entspricht so voll und ganz der Dudel-Philosophie: „Das Dudeln verbindet – die Höhen und Tiefen, das Feine und Derbe, das Süßliche und Tiafe“, bringt es Palmisano auf den Punkt. Dazu noch beste Entertainmentqualitäten, wenn sie etwa erklärt: „Die legendäre Fiaker-Milli wurde oft mit der Kameliendame verglichen. Nur: Die Kameliendame starb an Schwindsucht – die Fiaker-Milli an Leberzirrhose.“ Das Wichtigste ist aber, dass dieser allgemeine neue Aufschwung des Wienerliedes, in dem sich Palmisano bewegt, vielleicht Reminiszenzen bietet, aber keine aufg’wärmte Sentimentalität ist. Da wird erneuert – und manchmal werden Querverbindungen gewagt, die sich abseits des geschmäcklerischen Mainstreams bewegen. Wenn etwa das Kuckucks-Wienerlied mit jenem aus „Des Knaben Wunderhorn“ von Gustav Mahler gegengeschnitten wird. Der Rounder-Dudler Da gibt es musikalische Auffrischungen der Tradition – wenn beispielsweise Palmisano mit Tini Kainrath von den Roundergirls gemeinsam dudelt, da schwingen gleich noch ganz andere Stilregionen im Jodelgesang mit. Oder es sind Novitäten im Text – wenn die Tradition des „Gstanzl-Singens“ (Vierzeiler mit Pointe) durch „Die besten U-Bahn-Gstanzln“ erfrischt wird, die jüngst Roland Neuwirth in einem Buch veröffentlichte: „Da liegt ana am Gleis / und da steht ana danebn / der schreit: Des is a Kurzzug / da bleibn S‘ am Leben!“ Immer wieder bittet Palmisano Kollegen auf die Bühne, um gemeinsam mit Roland Sulzer an der Harmonika und Peter Havlicek an der Kontragitarre immer neue Facetten zu eröffnen. Robert Kolar etwa mit „Mei Krawatten hängt an deiner Autotür … siehst, so häng i an dir“.
„Weil i so fesch bin“ Und dann die kleine Grande Dame der Dudlerei: „Mir zwa singan auf Duett“, bestimmt Trude Mally, die von Palmisano als ihre „strengste Lehrerin“ vorgestellt wird. Das Podium verweigert sie, „i bleib da unten, weil i so fesch bin“. Auch das Mikrofon will sie nicht, „Trude singt unplugged“, heißt es. Aber vorher gibt sie noch den Einsatz: „Herr Tonmeister, hau’n S‘ eine.“ Es war ein langer Lebensweg bis hierher. 1938 war Mally bereits das erste Mal als zehnjähriges Wunderkind mit ihrer berühmten Dudel-Tante Ady Rothmayer aufgetreten. Nur eine Platte hat sie aufgenommen – das war 1948. Jetzt besingt sie mit schon etwas zarterer Stimme „’s Grüaberl im Kinn“ – und irgendwie hat Palmisano schon recht, wenn sie meint: „Man kann der Trude Mally nicht oft genug zuhören, um herauszufinden, was sie da eigentlich macht.“ Agnes Palmisano tritt jeden ersten Donnerstag im Monat im Café Prückel auf (19 Uhr).
(Roman David-Freihsl, DER STANDARD Printausgabe 12.10.2006)