Rezension „In Finstan“ von Robert Anders
Agnes Palmisano * In Finstan * CD
Aus dem Küchenradio erklingt Musik von John Dowland und untermalt die Vorbereitungen zum Abendessen. Der Zwiebel ist schon geschnitten und das Gemüse gewaschen, bis es endlich ins Bewusstsein sickert: An dieser Version von „Come again“ ist irgendetwas grundlegend anders als bei allen bisher gehörten Varianten. Aber was ist es? Richtig! Die Frauenstimme mit dem unglaublichen Stimmumfang, die soeben dieses rund 400 Jahre alte Lied intoniert, singt tastsächlich im Wiener Dialekt. Da wird „to see, to hear, to touch, to kiss“ zu „dich sehn, vastehn, dich g‘spürn, berührn“. Getragen von einem vertrauten Klangteppich aus Kotragitarre, Violine und Schrammelharmonika. Nach dem zweiten Hinhören besteht kein Zweifel mehr: Da traut sich jemand waghalsig im Stile eines Wiener Schrammelliedes an den großen John Dowland. Und diese mutige Person ist keine Geringere als Agnes Palmisano. Vorneweg sei es gleich verraten: Ihre Courage zahlt sich aus!
Agnes Palmisano hat die Texte von elf Dowland-Liedern aus dem Englisch der Renaissance in den Wiener Dialekt übertragen und mit drei großartigen Musikern – Daniel Fuchsberger, Aliosha Biz und Andreas Teufel – in ein außergewöhnliches, absolut hörenswertes Musikereignis gegossen. Sie schafft es spielerisch (und spielend!), die bekannte Dowland‘sche Mischung aus Liebe und Endlichkeit, Verlangen und Sinnlichkeit, als Wiener Melange zu servieren. Es ist nicht zu übersehen – beziehungsweise zu überhören – dass sich das Wienerische schon wie ein bestens präparierter englischer Rasen – sozusagen „wia a g‘mahte Wiesen“ – für exakt diese Musik anbietet. Und da wird dann auch schon mal gedudelt, ohne dass es dem eigentlichen Flair Dowlands den geringsten Abbruch tut – zum Beispiel in „Es tuat ma lad“ (Can she excuse) oder in „Zeit is“ (Now o now I needs must part).
Gemüsemesser weglegen, Herd abdrehen, die Küche bleibt heute kalt, Abendessen ist überwertet! Erst einmal die CD bestellen: Für Liebhaber*innen Alter Musik ein must-have (nicht zuletzt wegen des gelungenen Covers)! John Dowland (London 1563-1626), völlig neu interpretiert: In Finstan, von Agnes Palmisano, die wie sie sagt, in Dowland einen Ausdruck für ihre Gefühlswelt gefunden hat, die sie „sonst vielleicht gar nicht benennen hätte können“.
©Robert Anders, erschienen: Morgenschtean U72/73