Der Standard: Agnes Palmisano riskiert ein Tänzchen mit Dowlands Schwermut
Agnes Palmisano riskiert ein Tänzchen mit Dowlands Schwermut
Experiment tatsächlich gelungen: Die Sängerin präsentiert auf „In Finstan“ Lieder des genialen britischen Lautenmelancholikers John Dowland auf Wienerisch
Ljubiša Tošić
23. Dezember 2021, 11:22
Agnes Palmisano trifft den Lautenisten John Dowland. Die Melodik des 16. Jahrhunderts findet sich ins Wienerische übersetzt.
Wien – Wer tiefe Freundschaft mit der Gefühlsmusik des Komponisten John Dowland (1563–1626) geschlossen hat, wird bezüglich der Interpretation seiner porzellanfragilen Kunst schnell anspruchsvoll. Eine markante Begegnung kann in Form der Versionen von Alfred Deller stattgefunden haben. Der britische Countertenor (1912–1979) verlieh den melancholischen Linien eines Jahrtausendsongs wie Flow My Tears eine poetische Schwerelosigkeit, an die wohl keiner heranreicht, wenn es um diese schwermütig-subjektive Hofmusik des 16. Jahrhunderts geht.
Der durchaus zu respektierende Popbarde Sting ist so ein scheiternder Fall. Seine etwas atemlosen Versionen nähern sich dem Repertoire des Lautenisten Dowland eher buchstabierend an und bleiben ihnen – gerade dadurch – fremd. Auch Agnes Palmisano findet den von ihr verehrten Sting etwas „bemüht“. Er versuche, „es richtig zu machen“, will einer Sache „gerecht werden, welcher er selbst jedoch nicht wirklich entspricht …“
Zuerst Skepsis
Wer bezüglich Dowland, des ruhelosen Wandermusikers, von Alfred Deller sozialisiert wurde, nähert sich allerdings zuerst auch Palmisanos Versionen mit Skepsis. Dowlands Klang gewordene verinnerlichte Weltflucht mit ihren sublimen kleinen Regungen übersetzt ins mitunter herbe wienerische Idiom? Ja, das geht. Palmisano klingt nicht bemüht, da sind auch keine Halbheiten oder zaghaften vokalen Gesten.
Es gelang ihr etwas ganz Eigenes. Begleitet von Kontragitarrist Daniel Fuchsberger, Andreas Teufel an der Schrammelharmonika und Geiger Aliosha Biz wird kompromisslos subjektiv agiert. Auf Basis von Texten, welche die Sängerin Dowland nachgedichtet hat, zelebriert Palmisano eine mitunter morbide Poesie mit womöglich seelenreinigender Inbrunst.
Hier wird denn auch nichts buchstabiert, nehmen wir als Beweis den Klassiker In Darkness Let Me Dwell, der zu In Finstan wurde: Aus düsterer Geräuschatmosphäre erhebt sich zeitlupenhaft Verzweiflung, die sich zur Begräbnisidylle steigert, um in tanzfreudige Lebensbeschimpfung zu münden. Es klingt wie die Fahrt durch eine Grottenbahn heftiger Gefühle, deren Sprachrohr ein gerne ins Ungeschminkt-Rohe kippender Gesang ist, dem allerdings, wenn es geboten scheint, auch Zartheit gegeben ist.
Es fließen lassen
Das Projekt entstand aus „meiner eigenen Stimmung, auch aus meiner Verstimmung heraus – es war eine emotional schwierige Zeit“, erzählt Palmisano. Die Lieder, die sie seit der Kindheit kannte, tauchten in ihr auf, „sangen in mir, als Spiegel meines emotionalen Ausdrucks. Ich besorgte mir dann die Noten …“ Beim Singen ging es dann allerdings – wie immer bei ihr – darum, „die Musik frei fließen zu lassen“.
Sie spüre, höre nämlich sofort „jede Extraanstrengung und Verspannung, die ein Sänger produziert. Ich habe lange darum gerungen, den Emotionen beim Singen freien Lauf zu lassen, mich nicht ablenken zu lassen von Gedanken wie: Ist es gut genug? Bin ich laut genug? Stimmt die Stilistik? Jetzt kommt die schwierige Koloratur! Ah, das war jetzt ein gelungenes Vibrato …“
Der Wiener Dudler
Dass diese vokale Befreiung gelungen ist, weiß man bei ihr schon seit geraumer Zeit. Palmisano steht seit Jahren auch für die Form der Wiener „Dudlerei“, einer speziellen Kunst des Jodelns: „Ich bin über die letzten 20 Jahre Spezialistin für Wiener Musik geworden, weil ich das von den Allerbesten gehört habe und mit ihnen singen durfte“, erzählt sie und nennt Gerhard Bronner, Trude Mally, Kurt Girk und Karl Hodina.
Das Wienerische habe eine eigene Poesie, die mit „Deutsch“ nichts zu tun hat: „Das Wienerische liebt das Doppelbödige, und darin liegen viele emotionale Abstufungen und Zwischentöne verborgen. Diese Musik ist ja auch reich an Chromatik, nicht zufällig ist da auch eine besondere Art der Selbstreflexion zugegen.“ Allerdings gehe es auch darum, „sich in der tiefsten Verstimmung nicht ganz ernst zu nehmen“, findet Palmisano.
Schwere Nummer
Am krassesten spüre sie es beim erwähnten In Finstan: „Im englischen Original heißt es ‚in darkness let me dwell‘, das ist schon bei Dowland eine wirklich schwere, dissonante Nummer. Er spricht von ,hellish jarring sounds‘, höllisch kratzigen, kreischenden, schrillen Tönen, die er produziert. Er singt eben ‚so schiach, dass d’ Teifeln narrisch werd’n‘ – nicht auszuhalten!“ Man kommt da aber wieder raus. Sich so zu suhlen, „im Schmerz, im Grab, im Leid, das ist der Punkt, von dem aus es nicht mehr tiefer geht. Das finde ich schon wieder so absurd, dass ich fast drüber lachen muss. Ab da geht es dann bergauf.“
Dass ihre Übertragung ins Wienerische Dowland Unrecht tut und in ein Eck stellt, dagegen wehrt sich die 1974 in Wien Geborene. Dowland sage ja über sich selbst „semper Dowland semper dolens“, also „immer Dowland immer leidend“. Dass „er damit auf Wienerisch ein Raunzer und Suderer ist“, das habe sie also nicht erfunden, „sondern nur übersetzt“ und auf eine Aufnahme (bei Preiser) gebannt, die stimmig aus der Dunkelheit womöglich ans Licht führt. Das kann besonders in dieser Pandemiewinterzeit nicht schaden. (Ljubiša Tošić, 23.12.2021)