Kurier: Stadtgespräche

Stadtgespräche. Interviews mit Wienerinnen und Wienern, die etwas zu sagen haben

 

„Wienerlied, das ist immer süß und grauslich“

Agnes Palmisano. Sie ist die wohl markanteste weibliche Stimme, die das Wienerlied heute hat. Die Sängerin und Dudlerin über die Stadt und den Klang von deren Sprache

Von KONRAD KRAMAR

Nein, das Wienerlied wurde Agnes Palmisano nicht in die Wiege gelegt, auch wenn die Tochter einer Pinzgauerin und eines Kärntner Slowenen im Wilhelminenspital in Ottakring geboren ist.
Als die heute 48-Jährige einst zum Studieren nach Wien kam, war die Begegnung mit dem Wienerlied eigentlich eher Zufall. Warum daraus eine tiefe künstlerische Beziehung wurde und warum gerade das Dudeln, diese Wienerische Form des Jodelns, für sie die intimste Begegnung mit dem Wienerischen und all den Gefühlen und Stimmungen, die da dazu gehören, ist, erzählt sie im Gespräch mit dem KURIER.

KURIER: Wie kommt man als Sängerin in Wien auf das Wienerlied und dann noch auf das Dudeln?
Agnes Palmisano: An der Wiener Musikuni Gesang studieren mit diesem Pulk von hochbegabten Menschen, das ist stressig. Ich hab immer das Gefühl gehabt, egal, was ich sing’, es gibt was zu bekritteln: Schöner, anders etc. Ich hab aber als Studentin noch gar nicht gewusst, wie ich eigentlich klinge – und auf Befehl konnte ich schon überhaupt nicht singen.
Wenn ich versucht hab, Oper zu singen, war ich eine von vielen. Aber dann hab ich mich hingestellt und diesen Dudler gesungen und alle waren begeistert. Dass da ein junges, hübsches Mädel steht und das macht, was sonst nur die Trude Maly (die Legende des Wiener Dudelns) gemacht hat.

Wie vertraut war dir damals diese Musik?
Zum Jodeln hab’ ich immer schon eine enge Beziehung gehabt: Ich und ein Sessellift und Heidi, das klappt immer, und das Kufsteinlied, das hab ich schon als Kind gehört.
Ich hab wirklich keine Ahnung vom Wienerlied gehabt, als ich angefangen hab zu studieren. Den G’schupften Ferdl, oder die „Kittlfaltn“ hab ich gekannt von meinem Musiklehrer. Dann hab ich mich für Volksmusik an der Hochschule entschieden – und dort war dann Roland Neuwirth und der Dudler „A Tanzerl aus der untern Lad“. Das ist immer noch mein Lieblingsdudler. Den hab’ ich damals im Rathauskeller gesungen. Am Tag ruft mich der Gerhard Bronner an, er findet das so toll und er würde gerne mit mir arbeiten. Ich wusste gar nicht, wer dieser Bronner ist. Eigentlich ein Glück, sonst hätte ich mich ja zu Tode gefürchtet. So aber hab ich gerade von ihm so viel gelernt.

Wie schwer ist das, Wienerlieder zu singen? „Mei Muaterl woa a Weanerin“, „Wien, Wien nur du allein“: Alle diese Hadern sind in Wahrheit schwer zu singen, wenn man es richtig machen will, diese Intimität spüren will. Da muss man wirklich mit dieser Sprache umgehen können. Es gibt ja viele Leute, die Wienerlieder singen, aber es gibt auch einen Grund, warum das dann niemand hören will. Das ist doch meistens hässlich, wenn sich irgendwelche Operettensänger oder sogar Opernstars hinstellen und diese Lieder rausschmettern: so gefühllos, zum davonlaufen. Das braucht diese Sentimentalität, diese Liebe, diesen Schmerz. Wenn man sich da nicht reinfühlen kann, kann man nur raten, bitte mach’s nicht.

Was braucht es noch?
Es geht um die Sprache. Die wienerische Färbung von Vokalen ist was ganz Spezielles. Gerade wenn man singt, muss man das wissen. Im Prinzip erzähle ich dir eine Geschichte. Diese schönen, berührenden Melodien entstehen also beim Erzählen. Ein Wienerlied darf nie eindimensional sein, sonst ist es verlogen. Wienerlieder bestehen immer aus einem doppelten Boden. Solang man den nicht gefunden hat, soll man es nicht singen. Wienerlied ist immer süß und grauslich, herzig und grindig.

Und für das Dudeln, wie viel Technik braucht das? Man muss schon singen können, aber ich denk heute nicht mehr an Technik, wenn ich sing, und schon gar nicht, wenn ich dudle. Als junge Sängerin am Anfang hab’ ich mich immer eingekrampft. Dann aber hab’ ich mir gedacht, vielleicht macht das die Stimme selber – und auf einmal bin ich bis zum hohen B hinaufgekommen. Völlig mühelos und auch ganz weit hinunter. Es ist so faszinierend, wie sich dieses Instrument Körper in verschiedenen Tonlagen anhört, wie es klingt. In der klassischen Musik muss beim Singen alles einheitlich klingen. Beim Dudeln kann das unten rau sein und oben ganz anders.
Also, frei nach Wittgenstein: Worüber man nicht reden kann, darüber soll man dudeln. Wenn man keine Worte findet für das, was man ausdrücken will, da fängt der Dudler an. Das ist eine emotionale Überhöhung, ein bisschen wie ein Baby, das noch nicht spricht, aber du hörst trotzdem, was es ausdrücken will: Grant, Freude … das alles schwingt auch beim Dudeln mit. Um die Koloraturen geht’s da weniger, mehr um einen Ausdruck von Lust. Liebe oder Leidenschaft, Zärtlichkeit.

Wie viel Wien braucht man also, um Wienerlieder zu singen?
Man muss nicht Wienerin sein, um diese Musik zu machen, aber man muss sich drauf einlassen.

Quelle: Kurier, Wien 15.9.2023

https://epaper.kurier.at/issue.act?issueId=123356&issueDate=2023-09-15&issueMutation=wien-beilage

Kurier Stadtgespräche – Agnes Palmisano (PDF)