SN: Zum Weinen schön: Agnes Palmisano sang John Dowland
In „Die Tiefen der Seele“ hat sich das Publikum im Schubert-Saal des Wiener Konzerthauses am Dienstagabend von Agnes Palmisano schauen lassen. Gern auch noch, wie die begeisterten Reaktionen bewiesen – obwohl es bei dieser Seelenwanderung mit Werken von John Dowland durchaus das angekündigte „Auf und Ab“ gab, bei dem die „Abs“ in die Düsternis überwogen. Schließlich heißt die neue CD „Im Finstan möch i sein“ – Palmisanos Wienerische Übersetzung für „In darkness let me dwell“.
Ob man nun eher an Lia Pale denkt, die mit Komponist und Arrangeur Mathias Rüegg nacheinander Schubert, Schumann, Brahms und Händel einer gründlichen Neuinterpretation unterzogen hat, oder an Roland Neuwirth, der die „Winterreise“ ins Wienerische transponiert hat – Palmisanos Übertragung von Werken des englischen Lautenisten John Dowland (1563-1626), der vor 15 Jahren auch den großen Sting für Neuinterpretationen begeistert hatte, darf als gelungen bezeichnet werden. Mit 16 sei sie bei einer Jugend-Singwoche mit dem Renaissance-Musiker erstmals in Berührung gekommen, „und auch bei der Mama im Kirchenchor“ habe sie Werke von ihm gesungen. Es seien „abgründige Texte, die man mehrdeutig auffassen kann“, sagte sie. Was sie von seinen Liedern angesprochen habe, habe sie versucht, ins Wienerische zu übersetzen – die anderen eben nicht.
Gemeinsam mit ihren traditionellen Begleitern Daniel Fuchsberger (Kontragitarre), Andreas Teufel (Knopfharmonika) und Aliosha Biz (Geige) sowie dem Lautenisten Hermann Platzer bot Palmisano in diesem coronabedingt lange verschobenen Auftritt im Konzerthaus-Abo-Zyklus „Spielarten“ einen Mix aus Wiener Tänzen und Schrammel-Musik, Lauten-Soli und – vor allem – Dowland-Liedern auf Englisch, Wienerisch oder zweisprachig gemischt. Und man musste anerkennen: Das Elisabethanische Zeitalter und die Wienerische Gegenwart passen gut zusammen, das Auftrumpfende und das Abgründige, das Anziehende und das Abschmetternde. Zu den neuen Texten kamen die neuen Arrangements von Andreas Teufel, Gabriel Froihofer, Daniel Fuchsberger und Paul Gulda – und so konnte man sich fallen lassen und wusste sich aufgefangen von Agnes Palmisanos inniger und ausdrucksstarker Stimme.
„I sit, I sigh, I weep, I faint, I die“, schmachtete Palmisano in „Come Again“ zunächst im Original und machte später daraus „I ruaf, i suach, i find di ned, i fluach“. Ja, so geht’s. „Dich sehn, vaschdehn, di gschbüan, berüahn“ – das ist Sehnsucht pur, über Jahrhunderte hinweg verbindend. Viele dieser Lieder berühren Herz und Seele unmittelbar. Doch es geht auch anders: „Wilt though unkind thus reave me“, heißt es etwa bei Dowland, und Palmisano macht daraus: „Du wüüst ma ’s Heazz ausreissen? Und dann gehn? Du lasst mi stehn? Heasst, geh scheissen! Heasst, geh scheissen“, zeigte sich die Sängerin in „Foah o“ unverblümt entzürnt. Und so ging es dahin zwischen lieben und leiden, leben und sterben. Das Leben kann herrlich und furchtbar sein – mit diesen Liedern klingt es jedenfalls zum Weinen schön.
„Danke, Danke, dass Sie da sind! Sie geben unserem Leben einen Sinn!“, huldigte Palmisano ihrem Publikum und machte am Ende „Now o now I needs must part“ zur „Rausschmeißer-Nummer“ „Zeit is“: „Lassts eich nur ned owezaan. Das hat no nie zu was gfiad / Die Wööd wird si scho weidadrahn und im Heazzn klingt a Liad“. Welches Lied das sein könnte, machte sie gemeinsam mit ihren Musikern mit ihrer Zugabe klar: Der Abschluss „In mein Heazz“, tief empfunden und gleichzeitig hoch virtuos, wurde zum Höhepunkt des Abends. Das Lied ist zwar nicht von Dowland, sondern die Titelnummer des vorangegangenen Albums von Agnes Palmisano. Aber das gehört eben noch immer zu den besten Tonträgern, die in Österreich in den vergangenen Jahren erschienenen sind.
Quelle:
https://www.sn.at/kultur/musik/zum-weinen-schoen-agnes-palmisano-sang-john-dowland-117482275