Der Standard:“Ganymed Fe Male“: Die Grazien reden zurück
„Ganymed Fe Male“: Die Grazien reden zurück
Margarete Affenzeller•19. Februar 2017, 16:13
Jacqueline Kornmüller zeigt ihre neue Arbeit im Kunsthistorischen Museum. Sie verpasst der männlich dominierten Kunstgeschichte weibliche Blicke und Stimmen. Sehr notwendig, aber der Abend geht nicht weit genug
Wien – Mit Ganymed Boarding hat Regisseurin Jacqueline Kornmüller („wenn es so weit ist“) 2010 einen Theaterprototyp geschaffen, der Gemälde im Museum performativ erschließt. Die vierte Arbeit nun – sie heißt Ganymed Fe Male – hatte am Samstag Premiere und trägt einen prononciert weiblichen Blick in das ehrwürdige Kunsthistorische Museum.
Dort fragt man sich längst, warum die schönen Sitzbankquader in den großen Sälen – einst durch Thomas Bernhards Alte Meister zu literarischen Ehren gekommen – nicht schon viel früher als Bühnenpodeste genutzt wurden.
Einen weiblichen Blick im Kunsthistorischen Museum zu etablieren, damit trägt man wahrlich keine Eulen nach Athen. Dem einen oder anderen Besucher wurde bei diesem aus 15 Stationen bestehenden Parcours durch die Kunstgeschichte erst bewusst, wie männlich dominiert diese ist. Im Kontext feministischer Theorien verharrte diese Ganymed-Arbeit aber meist in recht ausgetretenen Pfaden, die sich vor allem in der Objektivierbarkeit der Frau erschöpfen und diese eigentlich, wenn auch mit kritischem Gestus, reproduzierte.
Kapuze als Dornenkrone
Eine besondere Ausnahme war da die ergreifende, geradezu erschütternde „performative Überschreibung“ von Tiepolos Gemälde Heilige Katharina von Siena durch die Wienerliedsängerin Agnes Palmisano. Unter dem Porträt der Mystikerin (1347-1380) kauernd, entwindet sich Palmisano zur Drehleiermusik von Matthias Loibner allmählich einem Schlafsack und streckt sich – dabei eine eigene, eindringlich langsame Version von Eric Claptons Trauerballade Tears in Heaven singend – dem Himmel entgegen.
Obwohl Palmisano mit ihrem schwarzen Hoodie und dem Schlafsack ganz der Gegenwart angehört, spricht durch sie in diesem Moment des Flehens genau jenes Gemälde. Es wirkt gar so, als läge in der Kapuze die Bedeutung der Dornenkrone und als bildeten die Faltenschwingungen des Schlafsacks das heilige Gewand.
Gefangensein im Blick
So nah zueinander fanden Gemälde und Performance selten an diesem Abend. Einen eingehenden Bezug stellte noch Zadie Smiths Text zu Balthasar Denners (1685-1749) Gemälde Alte Frau her. Petra Morzé reflektiert im Saal XII über das Gefangensein im männlichen Blick bzw. über die mit dem Alter und dem schwindenden Begehrtwerden einhergehende Befreiung aus demselben.
Ganz ähnlich machte dies Julia Stemberger, die sich noch mehr die Bewegungsstudie von Rubens Bild Das Pelzchen aneignete und – wie die darauf aufgebildete Frau – einen Pelzmantel notdürftig über ihre nackte Haut geschwungen trug. Ich bin aus Blicken gemacht heißt der dazugehörige Text der polnischen Autorin Joanna Bator.
Mitunter hieß es auch, Worte zurechtzurücken. Was in Giuliano Bugiardinis Gemälde noch Entführung der Dina heißt, präzisiert Autorin Anna Kim in ihrem Text: Schauspieler Martin Vischer berichtet im Anblick der Szene von systematischen Vergewaltigungen während des Bosnienkrieges. (Margarete Affenzeller, 19.2.2017)
Quelle: http://derstandard.at/2000052844558/Ganymed-Fe-Male-Die-Grazien-reden-zurueck