Kurier FREIZEIT – wienmitte (Molden)
Ich pflegte Heurige lang abzulehnen. Als Kind hatte
ich mein Fenster auf die Maschekseite eines Heurigen
hin, nachts musste ich mit dem Gegröle holländischer
Busladungen und Wiener Großkopferter einschlafen
(und bisweilen davon erwachen). In jenem Heurigen,
ironischerweise in einer der letzten Wohnstätten
Beethovens untergebracht, spielte auch Musik. Ein
Herren-Duo mit öligen Stimmen, die ein ebenso öliges
Angebot beinhalteten: einzugehen auf eine von den
Musikern behauptete und von den Busladungen
erwartete Gemeinsamkeit, die es natürlich nie gab.
Diese erlogene Gemeinsamkeit kostete mich meinen
Bubenschlaf. Wohl darum mied ich Heurige jahrzehntelang.
Und Walther Soyka, absoluter Herrscher im
Reich der Wiener Knöpferlharmonika, brauchte lang,
um mich zu einem Besuch jenes Heurigen zu verführen,
in dem er zweiwöchentlich mit dem Zithervirtuosen
Karl Stirner auftritt. Aber oh: Schon dieser
Heurige unterschied sich von meinen sinistren Erinnerungen.
Ein Heuriger als schlichter Teil eines
Wiener Alltags, so wie, sagen wir, ein Greissler, ein
Spital, eine Vorstadtkirche. Keine Insignien, keine
Buschen, keine komischen Wagenräder. Bloß da die
Schank, dort der Tisch. Da der Aschenbecher, dort
das Viertel. Und dann der Soyka und der Stirner, mit
ebenso knochentrockener wie wunderschöner Musik,
mit Liedern, die Sachen sagen wie:
Mei Vota hod gsogt,
i soi d’ Menscha lossn / Und er kauft ma a Haus auf da
Linzerstrossn / Oba i pfeif auf sei Haus und i sch . . .
eam auf sei Göd / I geh liaba zu d’ Menscha Holaruiulo.
Rundherum eine sich allmählich vergrößernde Runde,
bestehend aus Musikern, die nur zum Hören da sind,
aus Gästen, die scheu näherücken, und aus der Frau
des Wirten, Agnes Palmisano, einer der wenigen jungen
Dudlerinnen in Wien. Dudeln ist bekanntlich das
Wiener Jodeln, der Unterschied, so Soyka, liege nur
in der Lautstärke. „Ein Jodeln von Tisch zu Tisch.“
Hier also wohnt der Folk aus Wien. Es wird spät. Der
Winter ist jetzt tot. Frau Palmisanos Kopfstimme klingt
wie der Sommerwind in den Bäumen am Hameau.
Was wollt ich noch sagen? Genau: Heurige sind super.
12/2008